Heinrich Morf (23.10.1854 Münchenbuchsee, Kt. Bern – 23.1.1923 Thun, Kt. Bern); Sohn des Pädagogen u. Philanthropen Heinrich Morf (1818–1899)
Verf. | Frank-Rutger Hausmann |
Romanische Philologie, bes. Dialektologie
1873 Matura Gymn. Winterthur; 1873 Stud. Klass. Philol. Zürich,1875 Rom. Philol. Straßburg; 14.7.1877 Prom. (Eduard Böhmer) Straßburg; Nachstudium Paris (Gaston Paris); Reisen durch Spanien u. Italien; 1879 ao. Prof. Bern (Nachf. v. Heinrich Breitinger); Weihnachten 1891 o. Prof. Bern; 1884/85 Studienurlaub Italien u. Frankreich; WS 1889 o. Prof. Zürich; 1892/93 erneutes Urlaubssem., verbracht in Frankreich u. England; WS 1901 o. Prof. Akad. f. Handels- und Sozialwiss.en Frankfurt a. M.; 1901–03 Rektor; 1909 Rufablehnung Straßburg; 1910 o. Prof. FWU Berlin (Nachf. v. Adolf Tobler); 1917 em.; 1912 Dr. phil. h. c. Genf.
24.11.1910 o. Mitgl. Preuß. Akad. d. Wiss.
Aus romanischen Sprachen u. Literaturen: FS Heinrich Morf [zur Feier seiner 25jährigen Lehrtätigkeit], Halle a. S. 1905, Reprogr. Nachdr Genf 1980 [Schrift.-Verz. 417 – 427 [J. H. Meister]).
Die Wortstellung im altfranzösischen Rolandslied, Strassburg 1878 (Diss.); Die sprachlichen Einheitsbestrebungen in der rätischen Schweiz, Bern 1888; Das Studium der romanischen Philologie. Eine akademische Antrittsrede, Zürich 1890; Geschichte der neuern französischen Litteratur (XVI.–XIX. Jahrhundert). Ein Handbuch. Bd. 1: Das Zeitalter der Renaissance, Strassburg 1898; Deutsche u. Romanen in der Schweiz, Zürich 1901; Aus Dichtung u. Sprache der Romanen, 3 Bde., Strassburg 1903–22 (in Bd. 2, 331–363, die Zürcher Antrittsvorlesung „Das Studium der romanischen Philologie“); Zur sprachlichen Gliederung Frankreichs, Berlin 1911.
„Vossler hat einmal sehr schön den Unterschied zwischen Stuben- und Reiseromanisten geprägt. Für Morf trifft dieser Unterschied nicht zu. Morf war beides: Auf dem Katheder der große Forscher und der feine Künstler, hat er doch immer wieder auf Reisen, bald in Spanien oder Rumänien, in Graubünden, Frankreich oder Italien, Anregungen und Material gesammelt, blieb er so in stetigem und unmittelbarem Kontakt mit der romanischen Welt, deren Erforschung seine Lebensarbeit galt. Morf war überhaupt ein Romanist, wie er so recht sein sollte; darum ist es auch schwer, etwa bei Morf zu entscheiden, ob er mehr Sprachforscher oder Literarhistoriker, ob er mehr Phonetiker oder Textkritiker war. Er war – heute etwas Unerhörtes! – überhaupt nicht Spezialist. Er war auf allen diesen Gebieten zu Hause wie selten einer, und er war auf allen diesen Gebieten eine gleich führende Autorität. Gründe des Lautwandels, Ursachen der Mundartengrenzen, Verhältnis von Vulgärlatein und Romanisch, Bildung der Schriftsprachen, syntaktische Fragen, Wortforschung, Lagerung und Geschichte der Wörter, das alles waren Gebiete, die er mit derselben zähen Ausdauer, mit derselben Universalität und seiner unvergleichlich scharfen sprachlichen Empfindung ebenso bahnbrechend gefördert hat, wie die zahlreichen Probleme mittelalterlicher und moderner Literaturgeschichte: Dante und Diderot, Cervantes und Ariost, Rousseau und Mme de Staël, mittelalterliches Theater und Volkslied. Mit welcher tiefen Andacht und welcher unveränderten Ergriffenheit lauschten seine Hörer seinem Dante-Kolleg oder dem großen Kolleg über die französische Aufklärung! Welches feine Verständnis und künstlerisches Nachempfinden verrät seine Gesamtdarstellung der romanischen Literaturen in Hinnebergs ,Kultur der Gegenwart‘ (1909)! Offenbart sie nicht am besten die große Gabe des Verfassers, die großen Strömungen und Zusammenhänge zu erfassen und mit universaler Meisterhand auseinander zu entwickeln?“ (Rohlfs, 1921, 261).
HSchA Nr. 07493–07529; Erhard Lommatzsch, ASNSpr 142, 1920, 78–94; Gerhard Rohlfs, ZrP 41, 1921, 259–263; Gustav Roethe, „Gedächtnisrede […] auf Heinrich Morf“, SB d. Preuss. Akad. d. Wiss. 1921, 1. Halbbd., 521–528 [30. Juni 1921]; LexGramm 1996, 651–652 (Jakob Wüest/Anne Poitrineau); W. Th. Elwert, NDB 18, 1997, 100–102; Marc-René Jung/GL, hls (online); Storost, 300 Jahre romanische Sprachen, 2001, II, 447, bes. I, 292–300; Tognoli, „Präuniversitäre Romanistik“, 2001, 58–75; Lotz, „Disserationsgutachten“, 2001, 76–99; Richard Trachsler, „Heinrich Morf (1854–1921). Le bâtisseur déchu“, in: Bähler/Trachsler, Portraits, 2009, 141–175 (P); Fryba-Reber, Philologie et linguistique romanes, 2013, 382, bes. 80–84, 119–123, 187–196.