Naumann, Manfred

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Manfred Naumann (4.10.1925 Chemnitz – 21.8.2014 Wandlitz); Sohn der Strumpflegerin Hedwig Elisabeth Naumann

Verf. Frank-Rutger Hausmann

Romanische Philologie, bes. Geschichte der französischen Literatur, speziell der Aufklärung u. der Literatur des 19. u. 20. Jahrhunderts; theoretische Probleme der Literaturrezeption u. Rezeptionsästhetik; deutsch-französische Literaturbeziehungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert; Stendhal-Studien

Notabitur Mitweida; Herbst 1943–Mai 1945 Kriegsdienst (Uffz. d. Panzergrenadiere) u. Verwundung; 1945/46 Neulehrer; Herbst 1946 Stud. Rom. (Werner Krauss), Angl., Päd. u. Philos. Leipzig; 1952 Prom. (Krauss) Leipzig; 1955 Habil. Leipzig; 1957 Prof. f. Rom. Philol. Jena; März 1959 entl. u. als „Reformer“ aus der SED (Mitgl. seit April 1946) ausgestoßen; 1959–61 „Bewährungsjahre“ am Pädagogischen Bezirkskabinett Leipzig; 1961–65 Prof. mit LA f. Franz. Lit. Rostock; 1965–66 Prof. mit vollem LA f. Franz. Sprache u. Lit.; 1966 o. Prof. f. Kultur- u. Literatursoziologie HU Berlin; Wiederaufnahme in die SED; 1969 Mitbegr. d. Zentralinstituts f. Literaturgesch. an d. Dt. Akad. d. Wiss. in Berlin; Leiter zunächst d. Bereichs theoretische u. methodologische Probleme; danach Leiter d. Forschungsgruppe zur franz. Lit. des 19. u. 20. Jhdts.; 1975 o. Mitgl. Akad. d. Wiss. d. DDR; 1981 Dir. ZI f. Literaturgesch.; 1990 von den Mitarbeitern in geheimer Wahl bestätigt; 1990 pens.; 1994 ao. Mitgl der BBAW; 2010 Dr. h. c. Osnabrück.

1979 Lessing-Preis der DDR; 1986 Nationalpreis der DDR III. Klasse f. Wiss u. Technik.

Interview von Petra Boden u. Dorothea Böck mit Manfred Naumann, in: Petra Boden/Dorothea Böck (Hrsg.), Modernisierung ohne Moderne. Das Zentralinstitut für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR (1969–1991), Heidelberg 2004, 78–91; Zwischenräume. Erinnerungen eines Romanisten, Leipzig 2012.

Genuß u. Egoismus. Zur Kritik ihrer geschichtlichen Verknüpfung. Hrsg. v. Wolfgang Klein u. Ernst Müller, Berlin 2002 (Schrift.-Verz.).

Die Idee der Nationalerziehung in der französischen Aufklärung, Leipzig 1952, masch. (Diss.); Holbach u. das Materialismusproblem in der französischen Aufklärung, Leipzig 1954 (gedr. Studien zur Philosophie der Aufklärung, Berlin 1985, 200–271); Prosa in Frankreich. Studien zum Roman im 19. u. 20. Jahrhundert, Berlin 1978; Blickpunkt Leser. Literaturtheoretische Aufsätze, Leipzig 1984; Lexikon der französischen Literatur. Hrsg. von M. N., Leipzig 1987; Stendhals Deutschland. Impressionen über Land u. Leute, Weimar 2001.

„Man kann diesen Weg, alles in allem, einen Aufstieg nennen, und dass der aus Leistung erwuchs, wissen alle, die Manfred Naumann begegneten oder ihn lasen. Die Erinnerungen an ihn werden sich unterscheiden – je nach den Positionen, auf denen man ihn traf: Naumann war fähig, der Forderung zu entsprechen, dass das Innere stets ,noch einmal soviel sein muß als das Äußere‘ (so übersetzte Schopenhauer Gracián), und er setzte diese Reserven variabel ein. Wer bei ihm an dem Akademie-Institut arbeitete, kann sich zum Beispiel erinnern, wie Naumann ein neues Nachdenken über die Geschichte und Theorie literarischer Widerspiegelung solidarisch mit in Bewegung setzte, sein Wissen um den kritischen Realismus in Frankreich dann aber nicht in den Dienst einer gedruckten ,Diskussion über Grund-Sätze der marxistischen Literatur- und Kunstkonzeption‘ stellte, sondern einem Buch über Prosa in Frankreich vorbehielt. Er kann an die Losung der ,Einheit von Politik und Wissenschaft‘ denken, die Naumann in bedrängender Lage verkündete und so humboldtianisch wie schlitzohrig in dem Sinne anwendete, dass der Politik am besten gedient sei, wenn die Wissenschaft sich entfalte. Ihm bleibt ein Forschungskonzept zum ,Umgang der Gesellschaft mit Literatur in seiner geschichtlichen Veränderung‘ gegenwärtig, das im Anschluss an Gesellschaft – Literatur – Lesen in der Theorie weit ausgriff, in seinen geschichtlichen Dimensionen aber vorsichtig nur auf den Kapitalismus bezogen werden sollte, und das das Institut nicht aufnahm. Er kann würdigen, dass Leitungssitzungen wieder primär der Diskussion laufender Forschungsprojekte gewidmet wurden und Vollversammlungen ihren Höhepunkt in Vorträgen fanden, die vorrangig jenen Arbeiten galten, die nicht in den zentralen Plänen standen. Er wird nicht vergessen, wie der Direktor den Verstoß eines Reisekaders gegen Verhaltensregeln in der geforderten Weise verurteilte und sogleich dem weit und breit erfahrensten Bibliographen das Wort erteilte, um den Westreisenden (deren privilegierten Kreis auszudehnen er bemüht war) nützliche Hinweise zum Arbeiten in der Westberliner Staatsbibliothek zu geben. Er wird weiter darüber nachdenken, wie begründet der Dissens mit denen war, denen an der Potenz der Literaturwissenschaft zur Kritik der sie umgebenden Kulturpolitik lag. Und er wird nochmals den Moment genießen, in dem Naumann dem übergeordneten Leiter, der ihm wortreich erläutert hatte, wo der Klassenstandpunkt gerade lag, von oben herab nur erwiderte: ,Aber lieber Genosse, das wissen wir doch alles.‘ Wie auch immer im einzelnen – intensiv, das lässt sich wohl sagen, hat Manfred Naumann alle angeregt, die ihm begegneten“ (Klein, „Rede auf der Trauerfeier in Wandlitz, 6. September 2014“, in: Romanistik.de).

Storost, 300 Jahre, 2001, II, 447, bes. I, 454–463; Boden/Böck, Modernisierung ohne Moderne, 2004, 388, bes. 374–375; Wolfgang Klein, „Wissen und leben. Laudatio auf Manfred Naumann“, lendemains 140, 2010, 123–134; Peter Jehle, „Manfred Naumann (1925–2014)“, Das Argument, Nr. 309, 2014, 463f.; Jens Bisky, „Im Geist Stendhals. Der Romanist Manfred Naumann ist tot“, SZ 1.9.2014, 10; „Im Sinne Voltaires“, ND, 2.9.2014, 15.