Klemperer, Victor

Aus Romanistenlexikon
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Victor Klemperer (9.10.1881 Landsberg a. d. Warthe – 11.2.1960 Dresden); Sohn des Rabbiners Dr. Wilhelm Klemperer

Verf. Frank-Rutger Hausmann

Romanische Philologie, bes. franz. Literatur d. 17.-20. Jahrhunderts

Human. Gymn. Landsberg a. d. Warthe; 1902 Abitur Franz. Gymn. Berlin; 1902-06 Stud. Germ., Rom. u. Philos. Berlin, München, Genf, Paris; 1905-06 Stud.-Aufenthalt Rom; 1906-12 freier Schriftsteller Berlin; 1912-13 Forts. d. Stud. München; 30.1.1913 Prom. Germ. (Franz Muncker) München; 15.10.1914 Habil. (Karl Vossler) München; 1914-15 Lektor f. Dt. Neapel; 1915-18 Kriegsdienst; 1919 ao. Prof. München; 1920 o. Prof. TH Dresden (Nachf. v. Hanns Heiß); 1934 als „Jude“ suspend.; Zwangsarbeit, Zwangsunterkunft in „Judenhäusern“, von d. Gestapo verfolgt u. mißhandelt, zeitweise verhaftet; durch den Luftangriff auf Dresden Februar 1945 der Deportation entgangen; Flucht nach Oberbayern; Mai-Juni 1945 Rückkehr nach Dresden; 1945 als o. Prof. TH Dresden rehabilitiert; Leiter d. Volkshochschule u. d. Abendgymn. Dresden; 1947 o. Prof. Greifswald; 1948 o. Prof. Halle; 1951 zugleich o. Prof. HU-Berlin; 1947-60 Mitgl. d. Präsidialrates des Kulturbundes; 1950-58 Abg. d. Volkskammer; 1951 Dr. paed. h c. Dresden.

1952 Nationalpreis d. DDR; 5.2.1953 o. Mitgl. Deutsche Akademie d. Wissenschaften, Berlin; 1956 Vaterländischer Verdienstorden; Ehrensenator U Halle.

Curriculum vitae, 2 Bde., Berlin 1996; Leben sammeln, nicht fragen wozu u. warum. Tagebücher 1918-32, 2 Bde. Hrsg. v. W. Nowojski, Berlin 1996; Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-45, 2 Bde. Hrsg. v. W. Nowojski, Berlin 1996; So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1945-59, 2 Bde. Hrsg. v. W. Nowojski, Berlin 1999.

Montesquieu, 2 Bde., Heidelberg 1914-15 (Bd. 1 als Habil.-Schr. München anerkannt); Einführung in das Mittelfranzösische. Texte u. Erläuterungen f. die Zeit vom XIII. bis zum XVII. Jahrhundert, Leipzig-Berlin 1921; Die moderne franz. Prosa. Studie u. erläuterte Texte, Leipzig 1923, 21926, 31948; Die französische Literatur von Napoleon bis zur Gegenwart, 3 Teile in 4 Bdn., Berlin 1925-1931; Neuausgabe: Geschichte der französischen Literatur im 19. u. 20. Jahrhundert, 1800-1925, 2 Bde., Berlin 1956; Romanische Sonderart. Geistesgeschichtl. Studien, München 1926; Idealistische Literaturgeschichte. Grundsätzliche u. anwendende Studien, Bielefeld-Leipzig 1929; Die moderne franz. Lyrik von 1870 bis zur Gegenwart. Studie, erläuterte Texte, Leipzig-Berlin 1929; Neuausg.:Moderne franz. Lyrik (Dekadenz – Symbolismus – Neuromantik). Studie u. kommentierte Texte. Neuausg. Mit einem Anhang: Vom Surréalismus zur Résistance, Berlin 1957; Pierre Corneille, München 1933; LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947, 1949, 1957 u.ö.; Neuausg. v. E. Fröhlich, Stuttgart 2010; Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert. Bd. I: Das Jahrhundert Voltaires, Berlin 1954; Bd. II: Das Jahrhundert Rousseaus, Halle a. S. 1966; vor 33 / nach 45. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1956; Der alte u. der neue Humanismus, Leipzig-Jena 1956.

„Fragt man, in welchem romanistischen Fachzusammenhang alle diese Arbeiten stehen, so wird man feststellen, daß Klemperer für den Bereich der Literaturwissenschaft Groebers antiaufklärerischen Grundriss der Romanischen Philologie im aufklärerischen Sinn des Jungen Deutschlands bzw. Hettners neu schreibt und damit das Fach total in seinem Erkenntnisinteresse, in seinem Gegenstandsbereich und in seiner politisch-weltanschaulichen Orientierung verändern will: von antifranzösisch in profranzösisch oder doch zumindest – was auf dasselbe hinausliefe – vorurteilsfrei. Daß ihn dabei die Fixiertheit auf Vossler, der damit gar nichts am Hut hatte, behindern mußte, liegt auf der Hand, und daß zu Beginn der Arbeiten Klemperers, speziell im Montesquieu, die Faktizität seiner singulären (Hettner-Aufklärungs-) Position dem theoretischen (Fachgeschichts-)Bewußtsein vorausgeeilt sein mag, ist mehr als wahrscheinlich.

Immerhin kennt er bald – im Gegensatz zu vielen seiner Romanistik-Kollegen (bis heute) – die Fachgeschichte und ihre ideologischen, nationalistisch-antifranzösischen Implikate. Beispielhaft sein Vortrag über Die Entwicklung der Neuphilologie, den er 1921 veröffentlicht und der mit einer Kritik an den weltanschaulich-methodischen Prämissen von Groebers Grundriss beginnt, denen von Klemperer das Recht auf weltanschauliche und ästhetische Urteilsbildung und geistige Erkenntnis des Gegenstandes, des Anderen, konkret: Frankreichs entgegengehalten wird“ (Nerlich, 1996, 27-28).

Christmann, in: Christmann / Hausmann, Deutsche und österreichische Romanisten, 1989, 291-292; Baumgartner / Hebig, Biographisches Handbuch, 1996, 1, 401; Nerlich, Dossier, 1996 (darin bes. Rita Schober, „Erinnerungen an Victor Klemperers Wirken nach 1945“, 163-184); Court, Victor Klemperers Kölner Kandidatur, 1999; Storost, 300 Jahre, 2001, II, 443, bes. I, 396-403, 413-415; Hausmann, „Vom Strudel“, 2008, 801, bes. 281-298; Maas, Verfolgung u. Auswanderung, 2010, I, 376-389; Denise Rüttinger, Schreiben ein Leben lang: die Tagebücher des Victor Klemperer, Berlin 2011; Heintze, Erinnerungen, 2011.