Werner Rudolf Krauss (7.6.1900 Stuttgart – 28.8.1976 Berlin-Ost); Sohn des Geheimen Archivrats Rudolf Krauss (1861-1941)
Verf. | Frank-Rutger Hausmann |
Romanische Philologie, bes. Literaturwissenschaft (spanische Literatur, Zeitalter der Aufklärung, Literaturtheorie)
Humanist. Eberhard-Ludwigs-Gymn. Stuttgart; 1918 Abitur; Kriegsteilnahme (Feldartillerie); 1919 Stud. d. Rechts- u. Staatswiss. München; ab SS 1920 bis 1922 Stud. d. Literatur- u. Kulturwiss., Philologie u. Kunstgesch. ebd.; Spanienaufenthalte, Kontakt zu avantgardist. u. linken Intellektuellen; kurzzeitig Verhaftung wegen Polemik gegen das Regime Primo de Rivera; 1926 Forts. d. Stud. München; 1.2.1929 Prom. (Karl Vossler) ebd.; 1930 Parisaufenthalt; April 1931 Wiss. Assist. Rom. Sem. Marburg; 1.4.1931-31.3.1932 Habil.-Stip.; 30.4.1932 Habil. (Erich Auerbach) Marburg; 10.1.1940 Doz.; Aug. 1940 Einberufung zur Dolmetscherlehrkompanie d. „Amtes Ausland Abwehr“ Berlin; 15.7.1942 apl. Prof. Marburg; Mitgl. d. Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ (Gruppe H. Schulze-Boysen); 24.11.1941 Verhaftung durch die Gestapo; 18.1.1943 Todesurteil durch d. Reichs-Kriegsgericht; 18.4.1943 Entlassung aus dem Beamtenverhältnis; Inhaftierung Plötzensee, Moabit, Torgau u .a. Gefängnissen; aufgrund eines psychiatr. Gutachtens Begnadigung zu fünf Jahren Zuchthaus; Okt. 1944 Arztschreiber der Zuchthauskompanie Torgau; Lazarett Außig, Lazarettzug; Kriegsgefangenenlager Eger; 16.6.1945 Entlass. durch d. Amerikan. Militärbehörde; Rückkehr nach Marburg; 2.5.1946 persönl. o. Prof.; Ernennung z. Beauftragten f. d. demokrat. Wiederaufbau d. Univ.; 17.12.1947 o. Prof. Leipzig; 1958-65 Dir. des Inst. f. Rom. Sprachen u. Kultur d. Akad. d. Wiss. d. DDR Berlin; 1965 em.
1949 Nationalpreis III. Kl.; 1962 Friedrich-Engels-Preis; 1970 Vaterländ. Verdienstorden in Silber; 1971 Dr. h. c. Aix-en-Provence; 1971 Dr. h. c. Karl-Marx-U Leipzig; Hervorrag. Wissenschaftler d. Volkes.
1939 Mitgl. Argentin. Nation. Akad. f. Rechts- u. Sozialwiss., Buenos Aires; 1955 Sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig; 1955 Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin; Akad. d. Wiss. d. Sozialist. Republ. Rumänien.
Das tätige Leben u. die Literatur im mittelalterlichen Spanien, Stuttgart 1929 (Diss.); Die ästhetischen Grundlagen des span. Schäferromans, Marburg 1930 (Habil.-Schr., masch.); Corneille als politischer Dichter, Marburg 1936; Die Welt im spanischen Sprichwort, Wiesbaden 1946; Die Lebenslehre Graciáns, Frankfurt a. M. 1947; Gesammelte Aufsätze zur Rom. Literatur- u. Sprachgeschichte, Frankfurt a. M. 1949; Studien u. Aufsätze, Berlin 1959; Die französische Aufklärung im Spiegel der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Berlin 1963; Studien zur deutschen u. französischen Aufklärung, Berlin 1963; Die Reise nach Utopia, Berlin 1964; Essays zur französischen Literatur, Berlin-Weimar 1968; Fontenelle u. die Aufklärung, München 1969; Grundprobleme der Literaturwissenschaft: Zur Interpretation literarischer Werke, Reinbek b. Hamburg 1971; Werk und Wort: Aufsätze zur Literaturwissenschaft u. Wortgeschichte, Berlin-Weimar 1972; Die Aufklärung in Spanien, Portugal u. Lateinamerika, München 1973.
Das wissenschaftliche Werk. Hrsg. im Auftr. d. Akad. d. Wiss. v. Werner Bahner u. Manfred Naumann, Berlin: Aufbau-Verlag / de Gruyter, 8 Bde., 1984-97 (Schrift.-Verz. v. K. Müller, Bd. 8, 475-658).
„Als er am 28. August 1976 starb […] hinterließ Krauss seiner Universalerbin, der Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik, die Rechte an einem wissenschaftlichen Werk, das seither von seinen Schülern in einer Gesamtausgabe von acht Bänden, auf weit mehr als fünftausend Seiten und durch die Geschichte der Wiedervereinigung hin durch: bei zwei verschiedenen Verlagen wiederveröffentlicht worden (zu einem geringen Anteil sogar: erstveröffentlicht worden) ist. Man kann dort Aufsätze zur französischen Literatur des 17. Jahrhunderts und der Aufklärung lesen, von denen einige zur Zeit ihres Erscheinens wissenschaftlich bahnbrechend waren. Die Ausgabe schließt eine solide Monographie über Cervantes ein, einen Traktat über Graciáns Lebenslehre (Krauss‘ wohl bedeutendsten Text), und zwei zumindest nützliche Bücher – über die ansonsten (zurecht) vernachlässigte spanische Aufklärung und über die spanische ,Ideologiegeschichte‘ des 19 und frühen 20. Jahrhunderts. Einige von Krauss‘ literaturtheoretischen und wissenschaftsprogrammatischen Essays werfen ein ungewohnt günstiges Licht auf die Geschichte des akademischen Marxismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Hinzu kommt manches erfreulich oder auch nur scheinbar Abseitige wie etwa eine ,Kleine Geschichte des Alpinismus‘ oder ein Bericht über den Aufklärer-Streit anläßlich der Frage, ob Hunde eine Seele haben. Ohne Zweifel weisen all diese Texte Krauss als einen der großen Romanisten aus, obwohl sein Werk nie einen nationalen oder gar internationalen Einfluß entfaltete, der dem von Auerbach, Curtius, Spitzer oder selbst Vossler vergleichbar gewesen wäre. Nicht selten wird der Leser zwar von plötzlich aufblitzenden Einsichten und Thesen überrascht, die sein Denken verändern können, aber er muß sich auch durch lange Passagen quälen, welche offenbar allein auf die Faszination des Autors an der Bewältigung ,wuchtiger‘ (das war ein Lieblingswort von Krauss) Stoffmassen zurückgehen“ (Gumbrecht, 2002, 179).
Auerbach, Catalogus professorum academiae Marburgensis, 1979, 548-549; Strobach-Brillinger, in: Christmann / Hausmann, Deutsche u. österreichische Romanisten, 1989, 292-296; Horst F. Müller, „Die Korrespondenz Klemperer-Krauss“, in: Nerlich, Dossier, 1996, 185-196; Jehle, Werner Krauss, 1996; Ette, Werner Krauss, 1999; Storost, 300 Jahre, 2001, II, 443-444, bes. I, 499-519; Gumbrecht, Vom Leben u. Sterben, 2002, 175-208; Hofer, Werner Krauss, 2003; Maas, Verfolgung u. Auswanderung, 2010, I, 399-410; Naumann, Zwischenräume, 2012, 313.